Mastodon Schaffst du schon? Oder scannst du noch? – Sascha Wübbena
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Schaffst du schon? Oder scannst du noch?

Ja, dieser Artikel wird sehr persönlich. Und für den Moment gibt es auch kein Happy End. Aber mir ist gerade danach, dass hier mal für die Welt da draußen und mich in Worte zu fassen.

Es gibt viele verschiedene Typen von Menschen. Und das ist wunderbar. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Und wenn man diese bündelt, kann da etwas Großes daraus werden. Deswegen arbeiten viele Menschen auch so gerne im Team. Der eine kann gut organisieren, der andere ist kreativ, wieder andere sind lösungsorientiert und extrovertierten verkaufen das dann gut. Und wenn jeder sich an seinem Platz im Team wohl- und richtig eingesetzt fühlt, ist wahrscheinlich alles möglich.

Würdest du mich fragen, was meine Stärke ist, dann würde ich wohl länger überlegen. Nein, es ist nicht so, dass ich keine Stärken hätte. Es gibt so einiges, worauf ich in meinem Leben stolz sein kann. Obwohl … ist mir das nicht alles mehr oder weniger zugeflogen? Und nein, ich spreche hier nicht vom berühmten Impostor-Syndrom. Also dem Gefühl, dass man nichts weiter als ein Hochstapler ist und man all das, was man hat, gar nicht verdient hat. Und dass das alles jeden Moment herauskommt. Dieses Gefühl ist weitverbreitet. Aber wie ich mehr und mehr feststelle, geht das bei mir noch sehr viel weiter.

Kraut und Rüben

Die Menschen um mich herum nehmen mich als ruhigen, freundlichen und emphatischen Menschen wahr. Doch in meinem Kopf herrscht oft nur Chaos. Es gibt einfach zu viele Dinge, die mich beschäftigen, die mir im Kopf kreisen und sich im schlimmsten Fall zu einer oder zehn Ideen formen. Und das nimmt oft exzessive Züge an. In den rund 22 Jahren Ehe habe ich nicht nur einmal von meiner Frau gehört, sie wäre überfordert mit mir, weil ich ständig mit neuen Ideen, Plänen und Überlegungen ankomme. Und dann möchte ich gerne etwas Neues ausprobieren und gehe dafür einkaufen und gebe teilweise horrende Summen für etwas aus, was einige Zeit später vollkommen uninteressant wird. Hier mal ein paar Beispiele:

Ich möchte gerne was Kreatives machen. Als wäre doch Fotografieren eine tolle Sache. Ich gehe los, kaufe meine erste Fotokamera und ein Objektiv und fange an. Hey, das macht Spaß! Also kommen schnell die nächsten Objektive, Blitzgeräte und sonstiges Equipment dazu. Ein Freund fragte dann, ob ich seine Hochzeit fotografiere. Na klar. Und hey, das macht Spaß! Das könnte ich doch beruflich machen. Also gründe ich eine kleine Firma. Während ich die ganze Woche über in meinem Job arbeite, fotografiere ich am Wochenende Hochzeiten. Das schlaucht natürlich. Außerdem wird mir langweilig. Ich hänge also nicht nur mein Gewerbe an den Nagel, ich höre ganz auf mit der Fotografie. Ich müsste nur weitermachen, um richtig gut zu werden.

Jetzt aber: Ich will Musik machen. Das ist kreativ, und ganz bestimmt habe ich auch dafür Talent. Ich kaufe mir also ein riesiges Keyboard und ein paar Soundbibliotheken. Und hey, das macht Spaß! Ich könnte jetzt anfangen, Filmmusik und klassische Musik zu komponieren (mal davon abgesehen, dass ich bis heute keine Noten kann). Also kommen ein Haufen realistischer Orchester-Bibliotheken dazu, die unfassbar viel Geld verschlungen haben. Nach einigen vielleicht ganz passablen Ansätzen, sitze ich nun vor dem Ding und mein Kopf ist leer. Keine Ideen, keine Inspiration und … keinen Bock mehr. Ich müsste nur weitermachen, um richtig gut zu werden.

Dann: Eine Freundin schreibt gerade ihren ersten Roman – den ersten Teil einer Trilogie. Sie weiß, dass ich gerne Romane lese und holt sich gerne und oft Feedback ein. Und schon eine Ewigkeit denke ich darüber nach, selbst zu schreiben. Das wäre doch jetzt eine tolle Gelegenheit, endlich damit zu starten. Ich kaufe Software und lerne damit umzugehen. Ich schaue YouTube-Videos, worauf man beim Schreiben achten sollte. Ich habe Ideen. Sogar richtig tolle Ideen. Aber jetzt fängt die eigentliche Arbeit an: Plot bauen, Charaktere ausdenken und deren Biografie schreiben cetera pp. Und jetzt? Ich habe regelrecht Angst davor, anzufangen, weil ich weiß, dass ich wieder aufgebe. Dabei müsste ich nur weitermachen, um richtig gut zu werden.

Und das sind nur 3 Beispiele aus den letzten paar Jahren. Davor und währenddessen gab es noch Hunderte weiterer Ideen, die aufflammten und wieder erloschen. Gewürzt mit einer Prise Perfektionismus, Selbstüberschätzung und Größenwahn. Und das zieht sich auch durch meine Arbeitswelt: Nach 3 oder 4 Jahren tritt Langeweile auf. Dann zieht es mich woanders hin. Bei Apple arbeiten? Richtig cool, aber woanders ist es bestimmt besser. Im Außendienst unterwegs sein? Hat Spaß gemacht, war aber auch anstrengend. Mal ein ganz neues Berufsfeld? Quereinstiege habe ich schon ein paar hinter mir, was kostet enorm viel Kraft kostete. Und wenn ich so grundlegend verstanden habe, wie etwas funktioniert, kommt schnell die Frage: „So! Was tue ich jetzt?“

Depression

Dass der Kopf und das Gemüt eines Tages sagen: „Ich will nicht mehr“, ist vorprogrammiert. Ständig etwas Neues. Immer wieder umdenken. Und dann zu wissen, dass man die Sache am Ende doch nicht durchzieht (oder nennen wir es mal beim Namen: versagt), frustriert einen schon sehr. Man zweifelt an sich selbst. Ich denke, ich bin inkonsequent, unstet, bringe nichts zu Ende. Und vor allem: Ich kann nichts wirklich gut. Es gibt kein Thema, bei dem ich so richtig tief in der Materie stecke und etwas vorzeigen, während alle anderen um mich herum permanent so richtige Profis werden und in ihren Dingen aufblühen.

Vor ein paar Wochen habe ich dann intensiver über meinen persönlichen Werdegang (privat und beruflich) nachgedacht und kam vollkommen verzweifelt und mental erschöpft zu dem Schluss, dass das nicht so weitergehen kann. Also bemühte ich die Suchmaschine und versuchte herauszufinden, wie kaputt ich wirklich bin. Warum bin ich so, wie ich bin? Ich suchte nach „innerer Unruhe“, „ständig was Neues anfangen“, „nichts zu Ende bringen“ etc. Und relativ schnell bin ich dann auf ein Wort gestoßen, dessen Definition mich eiskalt erwischt hat:

Scannerpersönlichkeit

Dieser Begriff wurde von Barbara Sher ins Leben gerufen. Sie war Autorin und Coach und schien sich mit genau diesem Phänomen intensiv beschäftigt zu haben. Hier ist eine Definition vom Online-Magazin Psychologie heute, die diese Persönlichkeit beschreibt:

Scanner bewegen sich neugierig durch die Vielfalt möglicher Themen, Berufe, Hobbys: Sie leben in einem ständigen Wechsel von Kennenlernen, Hineinstürzen, Aufsaugen, Durchleben und Wiederloslassen.

Oft sind sie mit mehreren Ideen oder Unternehmen gleichzeitig beschäftigt, denen sie sich parallel oder im Wechsel widmen. Offen für die unterschiedlichsten Dinge sind sie initiativ und oft hocheffizient in der Durchführung des jeweiligen Projekts. Das müssen sie allerdings auch sein. Denn sie haben wenig Durchhaltevermögen, wenn etwas sie nicht mehr interessiert – Scanner hassen es, sich zu langweilen.

Psychologie heute

Natürlich wird solchen Persönlichkeiten viel Gutes zugeschrieben. Scanner sind extrem gut darin, sich in ein neues Thema einzuarbeiten. Sie sind kreativ und haben eine schnelle Auffassungsgabe. Und ja, das sagt man mir nach und steht auch in dem ein oder anderen Arbeitgeberzeugnis. Man kann sie vielseitig einsetzen, weil sie einfach jedes Thema schnell durchdringen. Viele Scanner gelten als hochbegabt. Das möchte ich von mir zwar nicht behaupten, aber vielbegabt trifft es schon eher.

Was ich aber auch vermehrt hierzu gelesen habe, ist, dass Scanner stark dazu neigen, in einen Burn-out oder in Depression zu verfallen, wenn sie nicht aufpassen. Und an diesem Punkt war ich schon mehrmals in meinem Leben. Und jetzt gerade fühlt es sich auch wieder nicht so toll an. Zumal die Gesellschaft, in der wir leben, schon darauf ausgerichtet ist, möglichst viele Konstanten zu haben: Man möchte sich darauf verlassen, dass du den Job machst, für den man dich eingestellt hat. Die Familie möchte sich darauf verlassen, dass du weiterhin für alles sorgen kannst und nicht mir nichts, dir nichts die Arbeit kündigst, um was vollkommen anderes zu machen. Wenn du schon einen Haufen Geld für ein Hobby ausgibst, dann bleibe bitte auch dabei. Und wenn du die Idee hast, nach Norwegen auszuwandern, dann … nein, einfach nur nein.

Das Kind hat einen Namen, ist aber trotzdem hässlich

Jetzt habe ich mich mit diesem Thema also beschäftigt. Und ich weiß jetzt, was dahintersteckt. Das ist schon mal gut. Ich bin einfach so eine Persönlichkeit. Ich kann nichts dafür.

Was ich aber nicht weiß, ist, was ich mit dieser Information anfangen soll. So eine tief sitzende „Eigenart“ lässt sich nicht einfach abschütteln. Ich kann nicht morgen einfach sagen: „So, jetzt setze ich mich hin und werde an meinem Roman arbeiten, bis er fertig ist. Wie man so etwas macht, weiß ich ja bereits.“ Das würde mich am Ende, wenn ich das durchgezogen habe, wahrscheinlich überglücklich machen, aber der Weg dorthin wäre eine Tortur.

Natürlich kann ich mir ein Mantra vorsagen: „Ich bin nicht kaputt, ich habe meine Stärken, an mich ist nichts falsch. Und alles, was weiß, kann und tue, habe ich meiner eigenen Neugier und harten Arbeit zuzuschreiben. Ich bin kein Hochstapler.“ Und ja, es ist toll, dass es heute nicht mehr auf den perfekten Lebenslauf ankommt, sondern dass Vielseitigkeit wertgeschätzt wird. Und ja, mein beruflicher Lebenslauf ist bereits ein Flickenteppich.

Aber das ändert nichts daran, dass ich mich weiterhin getrieben fühle, dass ich Menschen enttäusche oder zur Verzweiflung bringe. Es ändert nichts daran, dass ich mich auf mich selbst nicht verlassen kann, weil ich vielleicht morgen früh aufwache, keinen Bock auf das habe, was heute zu tun ist, und ich viel lieber was vollkommen anderes machen würde. Was natürlich utopisch wäre.

Aber jetzt habe ich es zumindest mal aufgeschrieben. Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt. Kennt ihr dieses Phänomen? Und falls ja, habt ihr eine gute Strategie, mit der ihr euch durch Leben manövriert? Ich freue mich sehr auf eure Kommentare.

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